Die Sokal Affäre  -  Jetzt eine Doppel-Affäre

(Schnee von 1998)

1. Der Hintergrund: Experimente eines Physikers mit den Sozialwissenschaften

2. Impostures intellectuelle  -  Fashionable Nonsense  - Eleganter Unsinn

3. Kritik an den Kritikern: sich mit Wissen brüsten, das man nicht hat: das tun sie selber, wenn sie das Reich der Philsophie betreten. Nur scheint dort  jeder Unsinn erlaubt zu sein (bis jetzt).

4. Links


 

1. Gegen anmaßende Sprache und Mißbrauch der Wissenschaften in der Philosophie

Die Vorgeschichte. Kürzlich hat Alan Sokal, ein amerikanischer Physiker an der New Yorker Universität, durch ein einfaches 'Experiment' nachgewiesen, daß diese drei philosophischen Auffassungen, der Antirealismus, der Relativismus und die Widerlegung des Objektivismus zu einer postmodernen Ideologie erstarrt sind, an deren Verbreitung anscheinend derart großes Interesse besteht, daß mitunter sogar die wissenschaftliche Redlichkeit geopfert wird, wenn nur diese Ideologie Unterstützung erfährt, vor allem, wenn ein ausgewiesener Physiker sich für sie stark macht. In diesem Fall war die Veröffentlichung von Sokals Artikel "Grenzüberschreitung: Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation" ein Pyrrhussieg, der die Herausgeber des angesehenen amerikanischen Kulturjournals "Social Text" arg blamierte, denn Sokals hochwissenschaftliche Unterstützung geisteswissenschaftlicher Vorurteile war ein Scherz, nichts weiter. - Nichts weiter? Vielleicht ist er auch der Anfang einer neuen Redlichkeit, die ideologische Moden nicht länger mitmacht, die einen klaren einfachen Stil bevorzugt, die den Leser nicht zu beeindrucken sucht, die nur dann zum Schreiben drängt, wenn sie etwas zu sagen hat.

Sokals Enthüllungstext (A Physicist's Experiments With Cultural Studies in: Lingua Franca, May/June 1996, pp. 62-64) ist nun von H.-J. Niemann ins Deutsche übersetzt als: "Die verleugnete Wirklichkeit. Ein Bericht über die Sokal-Affäre": Hans-Joachim Niemann: Übersetzung von Alan Sokal, Experimente eines Physikers mit den Sozialwissenschaften,  Sic et Non 1997 (Original: A Physicist Experiments With Cultural Studies, Lingua Franca, May/June 1996, pp. 62-64. 1996.) Volltext (pdf-Datei, 133 kB)

Alan Sokal ist Professor für Physik an der New York Universität. Er ist zusammen mit Roberto Fernandez and Jürg Fröhlich Co-Autor des Buches "Random Walks, Critical Phenomena, and Triviality in Quantum Field Theory" (Springer, 1992), und Co-Autor mit Jean Bricmont des gerade erschienenen Buches"Impostures Intellectuelles" (Intellektuelle Betrügereien), Paris (Jacob) 1997. Deutsch: Eleganter Unsinn - Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften mißbrauchen, München (C. H. Beck) 1999.

 


 

2. Das Buch von  Alan Sokal and Jean Bricmont

 

IMPOSTURES INTELLECTUELLES 

Paris (Odile Jacob) autumn 1997 

Erhellende Einblicke in die Arbeitsweise von Jacques Lacan, Julia Kristeva, Luce Irigaray, Bruno Latour, Jean Baudrillard, Gilles Deleuze, Félix Guattari, and Paul Virilio. Sokal/Bricmont: "....But what exactly do we claim in our book? Neither too much nor too little. We show that famous intellectuals such as Jacques Lacan, Julia Kristeva, Luce Irigaray, Jean Baudrillard and Gilles Deleuze have repeatedly abused scientific concepts and terminology: either using scientific ideas totally out of context, without giving the slightest empirical or conceptual justification -- note that we are not against extrapolating concepts from one field to another, but only against extrapolations made without argument -- or throwing around scientific jargon to their non-scientist readers without any regard for its relevance or even is meaning. We make no claim that this invalidates the rest of their work, on which we are explicitly agnostic."

Jetzt gibt es das Buch auch in Deutsch und Englisch:

Fashionable Nonsense

Postmodern Intellectuals' Abuse of Science

New York (Picador) 1998   

 

      

 

Eleganter Unsinn - Wie die Denker

der Postmoderne

die Wissenschaften

mißbrauchen

München (C. H. Beck) 1999


 

3. Eine Kritik der Kritiker

Obgleich ich mit der Intention des Buches voll übereinstimme, kann ich doch dem Kapitel nicht zustimmen, in dem Karl Popper das Aufkommen des postmodernen Relativismus in die Schuhe geschoben wird. Durch seine Fehler sollen Kuhn und Feyerabend dazu verführt worden sein, die Postmoderne in Gang gebracht zu haben (Kuhn und Feyerabend als die eigentlichen Väter der Postmoderne ist eine Auffassung, die die Autoren stillschweigend von mir übernommen haben; bisher galt ja Lyotard als der Erfinder). 

Popper hatte Jahrzehnte vor Sokal und Bricmont den Relativismus als die geistige Hauptkrankheit unserer Zeit gegeißelt. Wenn er nun selbst diese Krankheit verursacht hätte, zu deren Heilung er so viele Bücher verfaßt hat, dann wäre das schon wirklich aufregend. 

Dem Vorwurf bin ich also nachgegangen und habe in einem CONCEPTUS-Artikel (Nr. 80, 2000) festgestellt, daß Sokal und Bricmont in der gleichen Weise wie die von ihnen so hart (und mit Recht!) kritisierten französischen Denker die wissenschaftlichen Standards mit Füßen treten, sobald sie die Physik verlassen und das Reich der Philosophie betreten. Anscheinend ist die Philosophie ein Narrenparadies, in dem man machen kann, was man will.  Das muß anders werden. Deshalb habe ich auch einige dieser Standards, wie sie von der Physik in die Philosophie importiert werden sollten, in diesem Artikel formuliert:

Zusammenfassung. "Unklarheiten und Unzulänglichkeiten in der Wissenschaftstheorie Karl Poppers sollen im Verein mit seiner starrsinnigen Leugnung der Möglichkeit sicherer Erkenntnis überzogene Kritik provoziert, zu einer Krise in der Erkenntnistheorie geführt und auf diese Weise die irrationalen Verirrungen des postmodernen Relativismus hervorgerufen haben. Diese Kritik wird von den beiden Physikern Sokal und Bricmont vorgebracht, die im gleichen Buch kompetent und verdienstvoll die irrationalen Züge in den Werken vieler postmoderner französischer Denker bloßgestellt haben. Ihre Kritik an Popper erhält dadurch und durch ihre Kenntnis der wissenschaftlichen Praxis, die sie der Wissenschaftstheorie Poppers entgegenhalten, besonderes Gewicht. Sie lassen aber im Dunkeln, wie die von ihnen praktizierte Induktion funktioniert und welches Problem sie löst; denn die Physik kommt ohne Induktion aus. Was die Autoren als "wörtlich genommenen" Popper ausgeben, hat er, wie ich zeige, nicht gesagt und nicht gemeint, sondern das entspricht einem seit Jahrzehnten kolportierten Klischee. Die Zurückweisung der neuerlichen Kritik an Popper gibt Gelegenheit, einen Blick auf die sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Standards in Physik und Philosophie zu werfen und einige Vorschläge dafür zu machen, die Standards der Physik auch in der Philosophie zu verankern."

 

Die 'Krise in der Erkenntnistheorie' - Sokal, Bricmont und die wissenschaftlichen Standards in der Philosophie, CONCEPTUS Nr. 80 (1999), S. 1-35 (erschienen Aug. 2000).  Zusammenfassung   -  Abstract   -  Volltext (pdf-Datei 200 kB)


Links 1998 

Zu den WebPages über die Sokal Affäre (falls sie jetzt noch funktionieren)

Alan Sokal Artikels über die "Social Text" Affäre

Deja News Query Results

Weitere Verbindungnen zur  Sokal Discussion

Furor over Impostures Intellectuelles (Die Wut über...)

Paul Boghossian (In New York Times und ZEIT)


1998, zuletzt korrigiert 3.4.05. Hans-Joachim Niemann - back to the main menu