Jürgen August Alt: "Wenn Sinn knapp wird. Über das gelingende Leben in einer entzauberten Welt", Campus, Frankfurt/New York 1997, DM 29,80.

- Text in ursprünglicher Länge - vgl Publikationsliste Nr. 26

S inn in kleiner Dosis

'Es ist doch alles sinnlos!' Wem der Sinn abhanden gekommen ist, der leidet. Und leicht kann uns der Sinn verlorengehen, auf kognitive, aber auch auf emotionale Weise.

Je mehr wir das wissenschaftliche Weltbild verinnerlichen, um so mehr erfahren wir, daß das Menschenleben sich in einem teilnahmslosen Universum abspielt, dem die Kürze des Lebens, das Leiden von Mensch und Kreatur gleichgültig und in dem kein Ziel erkennbar ist, das dem Individuum oder der Menschheit im ganzen aufgetragen sein könnte.

'Alles ist sinnlos!' das kann aber auch der Ausdruck psychischer Belastung sein. Wer von Problemen überfordert wird, aber auch wer keine Probleme hat und permanent unterfordert ist, dem drängt sich die psychische Last als scheinbare Erkenntnis auf, alles sei sinnlos.

Jürgen Alts Buch diagnostiziert und therapiert den knapper werdenden kognitiven Sinn. Seine Diagnose: Die Entzauberung der Welt von Sinnzusammenhängen, in die wir uns eingebettet fühlen könnten, läßt sich nicht rückgängig machen. Sein Heilmittel ist eine komplexe Kur mit zahlreichen Anwendungen. Da der kognitive Sinn unwiderbringlich verloren ist, kann es nur darum gehen, so zu leben, daß der nach dem Sinn fragende Stoßseufzer ausbleibt. Unmerklich, auch für den Autor, wie es scheint, wird aus der Suche nach dem verlorenen Sinn eine Suche nach dem "gelingenden Leben", nach den Voraussetzungen für Zufriedenheit, Wohlbefinden und Glück. Alt: "Statt der einen großen Sinnantwort werden viele kleine Sinnantworten empfohlen: Sinn in kleiner Dosis."

Zunächst werden die weniger konventionellen Mittel analysiert, die esoterischen Philosophieangebote, wie sie bei Capra & Co. feilgeboten werden. Alt hält sich in seiner Bewertung völlig zurück. Wer will, mag damit selig werden. Aber er zeigt ihre Schwächen auf.

Als brauchbarer erweisen sich die zahlreichen Angebote der Schulphilosophen von Seneca bis Russell, aber auch die der zeitgenössischen Philosophen wie Odo Marquard, Thomas Nagel und Martin Seel. Hier bündelt Alt kenntnisreich Kräutersträußchen. Wo kein Sinn ist, soll man auch nicht danach fragen und sich lieber auf eine "Sinndiät in Sachen Sinnerwartung" (Marquard) einlassen. Man tut gut daran, das Risiko zu streuen und Bedingungen zu schaffen, die nicht Sinn, aber doch Wohlbefinden oder gar Glück versprechen und - so muß wohl der Leser das Rezept ergänzen - die Sinnfrage gar nicht aufkommen lassen. Da gilt es zuerst die materiellen Bedingungen zu verbessern: Einkommen, Umwelt und dergleichen. Wo das nicht möglich ist, liegt die Lebensklugheit darin, übertriebene Ansprüche zu senken. Schon eher lassen sich die sozialen Bedingungen zum eigenen Wohlergehen gestalten, die Beziehungen zu anderen, zu Gruppen, Partnern, Kindern. Vor allem aber sollten wir die Meister unseres eigenen Glückes sein, wenn es um die mentalen Bedingungen geht, um unsere Einstellungen, Werthaltungen und Weltbilder. Beitragen zum gelingenden Leben kann auch die Abwendung von den eigenen Problemen, die Beschäftigung mit anderen, wie sie Russell uns empfiehlt. Die Liebe zur Natur oder die Freude an der Kunst reichen nicht aus, ein gelungenes Lebenwahrscheinlicher machen.

Kein Kräutlein wirkt allein, und es ist auch nicht die besondere Mischung, vielmehr liegt das Geheimnis gelingenden Lebens darin, daß aus der Vielzahl der Möglichkeiten, glücklich zu werden, sich jeder  selbst ein nicht zu kleines, und nur auf ihn oder sie zugeschnittenes  Büschel zusammenstellt.

Dieses Buch zieht den Leser in ein schon Jahrhunderte währendes Gespräch, ohne langatmig oder antiquiert zu sein.  Die Sinnfrage ist eine Zeitfrage. Behutsam wie in einem therapeutischen Gespräch gelingt es Jürgen Alt, den großen kognitiven Sinn allmählich überflüssig zu machen und das Interesse des Lesers auf eine praktisch lösbaren Aufgabe zu lenken. Er bietet nicht die Lösung, wohl aber eine Auswahl von Rezepten für ein gelingendes Leben.

Der Verlag hätte gut daran getan, dem Buch ein Register beizufügen; denn die vielen referierten Beiträge lebenskluger Philosophen wird der Leser später gerne noch mal nachschlagen wollen.

Hans-Joachim Niemann

  Zurück zur Publikationsliste H. J. Niemann